Verlegte Archive
Handwerkliches und technisches Zeichnen wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts intensiver unterrichtet. Heute haben flache Bildschirme und Trackpads weitgehend den Zeichentisch abgelöst. Die Zeiten der technischen Zeichner_innen haben sich dermaßen gewandelt, dass händische Zeichnungen nicht mehr zeitgemäß sind. Wie die Kunst war jeder Plan einmal zeitgenössisch. Überholte Pläne sind die Vorstellung der Zukunft in der Vergangenheit.
In den Archiven der Menschheit sind sie trotzdem abgelegt und aufgehoben worden. Die Technische Universität Wien war eine der großen Schulen für technisches Zeichnen in Europa. In ihren Archiven lagern im Verborgenen längst überholte, handgezeichnete Pläne, die einst vielleicht eine Übung oder ein Projekt waren. Heute sind Pläne digital, das Original ist nicht auf Papier, sondern nur mehr im Computer zu finden. Gibt es daher überhaupt noch ein Original? Heutige Technologien haben den Prozess zur Erstellung von Plänen grundlegend verändert. Mit der schnelleren Erstellung und einfacheren Korrektur haben sich auch Zeit und Gedanken reduziert.
Es gibt Pläne über fast alles, was vom Menschen erdacht und gemacht wurde. Die überholten Pläne sind für mich der Beweis, was der Mensch aus der Welt gemacht hat, welche Vorstellungen ihn geprägt haben, und was er sich gewünscht hat. Zuerst habe ich mich für die zeichnerische Qualität der TU-Pläne interessiert. Dann habe ich festgestellt, dass diese eine ganz eigene Bildsprache haben. Eine universelle Sprache, zwischen Zeichnen und Schreiben, zwischen Vorstellung und Erstellung. Der Plan verschwindet, wenn das Projekt erfolgreich beendet wurde.
Der Plan gibt mir einen architektonischen Raum vor, und meine Handzeichnung erfüllt diesen mit Leben. Ich versuche als Künstler mit der gleichen Qualität eines technischen Zeichners zu arbeiten. Wenn man nicht mehr weiß, welche Linie und welcher Strich von wem gemacht wurde, dann ist der Künstler zum Ingenieur und der Ingenieur zum Künstler geworden. Es entsteht eine Synergie zwischen Wissenschaft und Fantasie, zwischen Konkretem und Abstraktem. Meine Arbeit gibt dem Plan eine neue Funktion und eine neue Lesbarkeit.
Die Verlegten Archive bestehen aus fünf Plänen der TU Wien und zeigen eine verlorene Tradition in fünf Forschungschwerpunkten der Universität.
Lionel Favre
DONETSK: MORE THAN SMOKE
Seit Ausbruch des Konflikts in der Ukraine, ist dieser in der Berichterstattung westlicher Medien allgegenwärtig. Kein Tag vergeht ohne neue, weitere Schreckensnachrichten, die uns direkt unter Beschuss nehmen. Vor meinem inneren Auge erscheint immer wieder das Bild von Explosionen und Rauch am Flughafen von Donezk, meist nur aus der Ferne fotografiert. Ich habe mich in meiner Auseinandersetzung sehr oft gefragt, wie man einen solchen Konflikt auf ein Bild reduzieren kann.
2010 hatte ich im Rahmen eines Ausstellungsprojektes die Möglichkeit erhalten in Donezk zu arbeiten. Drei Wochen lang habe ich in dieser beeindruckenden Stadt verbracht, um dann mit 12 weiteren internationalen Künstlern an dieser Ausstellung teilzunehmen.
Es ergab sich für mich dadurch die Möglichkeit zur nachhaltigen Recherche. Diese führte dazu, dass ich unterschiedlichstes Arbeitsmaterial, wie alte und neue Pläne, tausende Fotografien und eine Malerei mit nach Hause nehmen konnte. Aber vor allem prägte mich die Erfahrung der Begegnung mit den Menschen vor Ort und hinterließ einen tief bleibenden Eindruck in mir. Durch diese Erinnerungen wuchs in mir auch der Wunsch, irgendwann ein Projekt über Donezk zu machen.
Es war damals eine grüne industrielle Stadt im Aufbruch. Es entstand eine Infrastruktur um die ansässigen Arbeiter zu unterhalten. Während der Woche eher ruhig lebte die Stadt am Wochenende auf. Die weitläufigen Boulevards standen mit ihren Boutiquen, wie man sie auch in Metropolen wie Berlin, Wien oder Paris vorfindet, um nichts nach. Eine junge, aufstrebende Metropole, mit ambitionierter Industrie und einer nachhaltigen Entwicklung, welche kurze Zeit später die Fußball Europameisterschaft, in einem brandneuen Fußballstadion beherbergte.
Die Bilder, die mich heute erreichen, zeugen von den Gräueln des Krieges. Alles was von der Stadt blieb, die ich in ihrer Blüte erleben durfte ist Morbidität.
Es stellt sich daher für mich die Frage: Wieviel Kunst und Kultur braucht man um einen Kampf zu vermeiden?
Während des Zweiten Weltkrieges übergaben die Franzosen Paris kampflos. Denn im Grunde wollten beide Seiten die kulturelle Vielfalt der Stadt bewahren und, weder ihre Architektur, noch ihre Kunstschätze zerstören. Man kann also behaupten, dass die Kultur die Stadt gerettet hat, auch wenn diese Kultur ohne Kampf verloren hat.
Die emigrierten Künstler und Intellektuellen fanden, fernab der Heimat, der faschistischen Propaganda trotzend, neue antifigurative Strömungen der Kunst. In New York versammelten sich diese und beschäftigten sich mit der Frage, welchen Beitrag sie dem Faschismus und dem sozialistischen Realismus entgegenstellen könnten? Das Ergebnis war die Geburt der Abstraktion.
Kunst ist selten nur ästhetisch, folgt sie im Grunde doch einer höheren Ideologie.
Später, im kalten Krieg entwarfen westliche Geheimdienste ein Programm durch das die stimmgewaltigsten Vertreter der westlichen intellektuellen und künstlerischen Elite, sowohl wissentlich als auch unwissentlich, zu fügsamen Werkzeugen liberalistischer Ideen und Werte gemacht wurden.
Welche Rolle kommt der Kunst im Krieg zu?
Ist Kunst während der Schrecken des Krieges überhaupt möglich? Hat sie eine Berechtigung? Oder ist sie ein Objekt der Begierde, gleich dem Luxus? Ist Kunst in einer Welt voller Anarchie überhaupt möglich? Steht es in ihrer Macht, Unverständnis aufzulösen? Oder steht sie letztendlich über allem, sogar dessen, was dem Menschen misslingt?
Kunst und Kultur ist der Beweis für die Intelligenz einer höheren Zivilisation.
Und ein weiteres Mal ist die Kunst Zeuge einer Epoche und mahnt uns vor dem Kommenden.
Mein Bild von Donezk ist frei und friedlich. Die Kunst versucht die Umstände transparent zu machen, indem sie durchleuchtet. Selbst in die tiefste Finsternis dringt durch ihre Reflektion Licht.
„… denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen.“
(Friedrich Schiller)
Hier können Sie den Katalog der Ausstellung MORE THAN SMOKE im Österreichischen Kulturforum Moskau als PDF downloaden.
Für eine interaktive Ansicht des Kataloges im Internet klicken Sie bitte hier.
Ensemble
« Ensemble » ist auf einem Plan gezeichnet, welcher aus einer Polsterei in La Sarraz/Schweiz stammt, die in den Achtziger Jahren des letzten Jahrtausends bankrott gegangen ist.
Es ist ein apokalyptischer Traum, dem sich der Betrachter hier ausgesetzt sieht, fast wie ein Nickerchen auf einem Sofa aus einer längst vergangenen Zeit.
Es ist eine Turbine, ein Tube. eine Spacekapsel, eine Art Arche Noah des 21. Jahrhunderts. Mehr ein Raumschiff also, angepasst an eine « neuromantische Zeit », denn beim kommenden Armageddon verglüht Noahs Holz.
Die Vorbereitungen sind in vollem Gange, die nahende Katastrophe ist unausweichlich, alles was es zu retten gilt, ist das Leben selbst.
Da ist kein Platz für das Wissen der Welt, wir hinterlassen eine Ziviliastion, die vollgerotzt ist mit Luxus- und Kulturgütern und vollgestellt mit Architektur.
Die Evolution setzt aus, und alles was bleibt, ist die Ohnmacht darüber, dass das neue Universum vorerst aus einer Kapsel besteht. Wir können nur dabei zusehen, was bleibt und was geht.
Und jede Ruine birgt Zukunft, in denen die Kraftwerke die Sterne erzeugen…
« Ensemble », gemeinsam also, haben wir die Hoffnung und den Glauben an eine Flucht vor einem Ende, das wir uns selbst erschaffen haben.
Medusa
Die Medusa begegnet mir in verschiedenster Form. Ihrer Erschaffung liegt jede steinerne Skulptur dieser Welt zugrunde, auf ewig in ihren Bewegungen erstarrt.
Versteinert bin ich, wenn mein Blick dem ihren begegnet. Ist mein Herz dann auch steinern?
Was wäre das für ein Trubel, was für eine bunte Kirmes voller Applaus, wenn die Welt nicht stillsteht, wenn wir nicht zurück blicken, zur Medusa. Es ist gleich, wohin mein Blick sich richtet, ich sehe SIE - überall, im Brutalen und Subtilen, im Sakralen, in jedem Stil. Von der antiken Mythologie bis in unsere Gegenwart, alles erstarrt vorm Blick meiner Medusa!