STATEMENT

Galerie

Baupläne und technische Skizzen sind die Ausgangsbasis der Arbeiten von Lionel Favre. Auf ihnen lässt er mit schwarzer Tinte spontan narrative Zeichnungen entstehen. Sie geben grafisch einen architektonischen Rahmen vor, den er fantasievoll als Spielraum für seine surrealen Szenarien verwendet. Verschiedenartige Objekte und Figuren breiten sich auf dem Blatt aus, beleben es, nisten sich in den vorgefunden Räumen ein und deuten diese so um. Die längst vergilbten und mit der Zeit unbrauchbar gewordenen Pläne werden durch die Zeichnung nicht nur unlesbar, sondern auch in ihrer Funktion entfremdet. Maßstäbe werden verzerrt, Perspektiven verschoben. Der Plan selbst erhält mit der Transformation zum Bildträger eine neue Bedeutung.

Elsy Lahner

Fantasie ist nicht das Erste, was einem beim Betrachten von technischen Plänen in den Sinn kommen würde. Die Pläne geben einen architektonichen Raum vor, welcher durch die Handzeichnungen belebt wird. Diese breiten sich aus, nisten sich in den vorgefundenen Räumen ein und deuten sie so um. So entsteht eine Synergie zwischen konkreter Vorgabe und freier Entwicklung des Organischen, die eine andere Realität bzw. Surrealität des Raumes zeigt. Die Pläne sind aufgrund der heutigen technischen Entwicklung unbrauchbar geworden, durch meine Transformation bekommen sie eine neue Funktion und eine neue Lesbarkeit.

Lionel Favre

Lionel Favre gehört einer jungen, forschen Künstlergeneration an. Aufgewachsen in einer Zeit des Malerei- Booms rund um die 2000er Jahre mutet seine Bevorzugung der zeichnerischen Handschrift wie eine Rückbesinnung auf Konzentration und Reduktion an. Dennoch eröffnet auch er ein Phantasie-Reich der Zeichen und Codes:
Favre entdeckte technische Pläne und Entwurfsskizzen aus Industrie und Architektur als seine „prima materia“; handgezeichnete, alte Pläne für Seilbahnen, Laufwerke, Stahlträger, Schneeketten, Förderbänder dienen als Ausgangsmaterial für seinen zeichnerischen Kosmos. Längst nicht mehr verwendete, antiquierte Planrollen findet er im Altpapier, manche werden ihm von Freunden gebracht, andere hortet er jahrelang, bis sie in Struktur und Anlage für eine seiner Überzeichnungen taugen.
Favre ist der Zauberer, der Metamorphotiker der gegenwärtigen Zeichnung, er verändert das Vorgefundene, nimmt Inspiration und Anregung auf und zeichnet weiter, kreiert etwas Neues.
Seine Welt „en miniature“ ist jedoch nicht nur kurios und surreal, wie es im ersten Moment scheinen mag, sondern durchaus von bissigem Humor und Sozialkritik geprägt. Fast mit der Lupe müsste man den Männchen und Szenen, ihrem aberwitzigen Treiben in Phantasiearchitekturen folgen, um zu erkennen, dass sie als Zeichen für Verborgenes, Verdrängtes in unserer Gesellschaft stehen, für Böswilligkeit und Erotik, vergebliches Streben, wie auch für absichtslose Spielereien.

Margit Zuckriegl, Kuratorin


Lionel Favre - Besondere Momente in Architekturplänen der Festspiele



EDITION Das große Welttheater


Auch als eine Antwort auf das Leid und die Zerstörung des ersten Weltkriegs träumen Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal von Festspielen in der im Herzen Europas gelegenen Barockstadt Salzburg; von einem von der Kunst bestimmten Friedensprojekt, das von Freiheit, Lebendigkeit und Intensität geleitet die Kunst – Theater, Oper und Konzert als Taktgeber in das Zentrum der Gesellschaft implantiert.
„100 Jahre Salzburger Festspiele“ und der Auftrag einen Raum des „Großen Welttheater“ mit seinen Arbeiten im Salzburg Museum zu gestalten, haben Lionel Favre, in dem sich der Charme der Romandie und wienerisches Laissez faire mit unverschämter Leichtigkeit verbinden, eintauchen lassen in staubige Archive und akribisch gehütete Depots, in denen Werden und Wachsendes des heute bedeutendsten Festivals der Welt dokumentiert ist. Wie im Leben verbindet Favre auch in seinen Arbeiten scheinbar extrem Gegensätzliches: Sein Respekt vor der kühl ordnenden, analytischen Kraft des Architekten oder Ingenieurs verbindet sich mit der schier grenzenlosen Freiheit seiner mäandernden Phantasie.
Sein „Wahnsinn“ hat Methode. Erst die Pflicht: das heißt das Objekte seiner Begierde, mühsam aufgestöbertes, frech erbeutetes oder aber einfach nur derelinquiertes Planmaterial wird von ihm akribisch restauriert. Das altersmüde Papier sowohl wie das konstruktive Notat darauf. Ohne Lineal, mit freier Hand. Ehrensache. Dann die Kür: die Schleusen seiner Schatzkammer öffnen sich und ein wilder Mix autogamer Ideen und wildwuchernder Assoziationen - Lionels Welten - erobern und bevölkern das bislang spröde Terrain.
Der Plan "Der Rosengarten" der Plan eines Lusters aus dem Bühnenbild von Teo Otto für den legendären Rosenkavalier (Produktion: Herbert von Karajan und Rudolf Hartmann) aus dem Jahr 1960 bietet Lionel Favre die Struktur seiner Deutung von Richard Strauss. Sein prickelnder Esprit vereint sich in diesem Champagnerglas mit der Perfektion bester österreichischer Handwerkstradition der seit 1923 bestehenden Glasmanufaktur LOBMEYR aus Wien und so tummeln sich auf dem Champagnerglaspärchen der Serie Ballerina wohlgelaunt Ochs, Marschalin, Octavian und ihre Mitspieler auf Ranken, Lusterteilen und Rosen: „à votre santé“

Mario A.Mauroner


Lobmeyr "ROSENKAVALIER" limited Edition by Lionel Favre




Ich freue mich in der Ausgabe #18 des FUKT Magazins zu sein.

Inselgespräche 2018 - No Plan: Lionel Favre



NO PLAN - GOOD PLAN / ISLAND TALKS AUF DER PERNER INSEL 2018



Als ich begonnen habe, Malerei zu studieren, war das Zeichnen von Comics passé, ich habe mich auf ein neues, unbekanntes Feld begeben, wo ich mich nicht mehr auskannte. Die Ateliers an der Uni waren anders, seltsam fremd. Viel Zeit habe ich vergeudet, um neue Sachen auszuprobieren, Kleckse voll Kaffee und Cola, unzählige aufwendige Veranstaltungen, Ausstellungen und Atelierbesuche.

Bis zu einem Sonntag im April 2006. Ich sass mit einer Zeitung auf einer Bank in Hütteldorf. Ein alter Mann entsorgte eine große Mappe in einem Papiercontainer. Als er wieder weg war, und ich mir diese genauer ansah, entdecke ich technische Pläne aus den 20er Jahren und älter. Das Papier war völlig vergilbt und war von Mäusen angeknabbert. Eigentlich habe ich sie nur wegen der Mäusebisse mitgenommen, aber während ich später telefonierte, zeichnete ich Gedankenverloren ein Gesicht auf dem alten Plan... und es hat gleich funktioniert. Hier und da ein kleiner Mensch, und es war der Plan. Jeder dieser Pläne hat mir eine Struktur zum Durchbrechen vorgegeben. Und eine Form, die meine Phantasie beflügelte und herausfordert. Es war mir von diesem Moment an klar, dass ich darauf weiterzeichnen wollte. Ich war und bin fasziniert von der Perfektion der handgemachten Pläne. Später fand ich andere Pläne, viele Pläne.
Anfangs wollte ich wissen, ob der Künstler mit reiner, freier Handarbeit sich an die Qualitäten eines Technischen Zeichners heranwagen kann. Pläne haben eine eigene Sprache, sie sind gemacht, um gelesen zu werden und sie sind nicht als Bild zu verstehen. Alles was der Mensch gebaut hat, wurde geplant, es ist der Beweis dafür, dass wir das aus der Welt machen, was wir uns wünschen.

Der handgezeichnete Plan ist auch eine Reliquie einer Zeit, die vergangen ist, sie bezeugen den Übergang von der analogen zu digitalen Ära. Sie erzählen unsere Epoche. Vor zwanzig Jahren hätte ich diese Pläne so nicht bekommen und in zwanzig Jahren werden sie wohlmöglich nur digital existieren, wenn sie nicht gänzlich verschwunden sind.
Der Plan ist konträr zur Kunst. Für alles gibt es einen Plan. Außer für Kunstwerke. Völlig emotionslos kommt er daher, der Plan. Wissenschaft und Imagination liegen weit auseinander, doch brauchen sie sich beide.

Und Albert Einstein. Der sagt, das Imagination wichtiger ist, als Wissenschaft, da diese keine Grenze hat.

Ich bin also ohne Plan auf den Plan gekommen.

Er gibt mir eine Struktur, und jedes Mal ist es eine neue Herausforderung um ein funktionierendes Bild daraus zu schaffen. Aber er hilft mir auch, an meine Grenzen zu kommen und stellt mir ein neues Thema vor. Eine Konstruktion, soll und wird es sein, zumindest auf dem Plan und die Kunst kommt durch meinen Instinkt. Ich glaube, Kunst kann sich nicht durch sich selber nähren. Technik reduziert die Phantasie und schafft eine Funktion. Zeichnung ist doch der direkteste Weg, Gedanken Ausdruck zu geben, um sie dann zu realisieren.

Meine Interpretation der Pläne ist frei und schöpft sich aus der Struktur des vorgegebenen Plans. Freiheit ist ein hohes, zerbrechliches Gut, überall, und oft bin ich froh, über ein bisschen vorgegebene Struktur. Und wenn ich mit meinen Gedanken auf Baudlaires Schwingen seines Albatros sitze, dann muss ich königlich lachen, weil im Grunde sind wir doch alle ein bisschen so, Herrscher der Lüfte und tollpatschig und verloren auf den hölzernen Planken, am Grund.

Lionel Favre

„office of the forgotten dreams“



Technische Pläne aus vergangenen Zeiten in vergessenen Kellern – das hat etwas Mystisches.
Die Luft schwirrt schwer im Raum, düster ist es, der Moder schwängert den Sauerstoff in der Versenkung mit Schimmel, und das spärliche Licht, welches durch das verschmierte, gebrochene Glas der verfallenen Luke fällt, wirft bizarre Schatten an den feuchte Sandstein.
Ich halte mir die Hand vor den Mund, ich atme flach, die Stufen sind morsch, mit mir steigt der erste Sonnenstrahl herunter, und zwischen den Reliquien einer längst vergangenen Zeit finde ich Pläne, begegne ich Dokumenten, die herum sind.
Ich hätte gerne eine Fackel, und im flackernden Schein des Feuers würde ich das brüchige Papier studieren, den Linien drauf folgen, die Form erkennen, und im besten Fall den Sinn erschließen, weswegen dieser Plan vor vielen Jahren mit allen notwendigen Informationen versehen und entworfen worden ist.
Er ist der Beweis für Substanz und eine frühere Existenz. Für ein Bewusstsein, für eine Vergangenheit, in eine Gegenwart – für eine umfassendere Kommunikation mit der Zukunft. Er ist aus seiner Zeit.

Die Malerei in der Chauvet-Höhle in den Ardeche/Frankreich sind die ältesten Zeichnungen der Welt. Es ist der älteste Beweis für das Bewusstsein des (Ur-) Menschen über seine Welt und seinem Platz darin. Das ist die allererste Kunst. Das sind die Urzeichnungen. Wir sind in unserer Geschichte.
Die filigrane Höhlenmalerei, Zeuge einer primitiven, anderen Zeit, über tausende von Jahren, an den dunkelsten Stellen der Höhlen, tanzen einen wilden Schattentanz, im Takt unseres Herzschlags, gleich, der hier unendlich tief weiter schlägt.
Wenn man den Holzkohlenstrichen folgt, erkennt man eine anatomische Genauigkeit und Technik, die in ihrem Minimalismus hier einen Anfang hat und ganz große Kunst darstellt.

Hinter meinen Plänen erkenne ich eine verlorene Tradition.
Die, der Zeichner.
Ich klammere mich an die Tradition, und reiße an ihr, stemme mich gegen sie, und zerre sie zurück ins Bild. Die technischen Pläne sind auch eine Weiterentwicklung der Höhlenmalerei als unsere Kommunikationsform um die Welt zu beschreiben.
Die erste Zeichnung, die ich finden konnte...
Ich wollte die Linien der Figuren studieren, die den Weg an die Wände der Chauvet-Höhle vor 30tausend Jahren gefunden haben, und diese Urform der Kunst zu verstehen. Ich wollte die Höhlenmalerei in die Pläne übertragen, und sehen, ob eine Übersetzung ins heute funktioniert. Mein Büro der vergessenen Träume restauriert, analysiert und interpretiert. Auch Pläne.
Es durchleuchtet ihre Geschichte und Tradition und versetzt den Kontext der Dokumente in eine neue Form. Mein Werkzeug ist der Stift und meine Phantasie, und obwohl doch überall Technik ist, benutze ich nie ein Lineal. Die Pläne geben mir einen architektonischen Raum vor, und meine Handzeichnung bringt das organische. Die Pläne bekommen eine neue Funktion und ich spüre hinein, ob der Künstler die Qualität eines technischen Zeichners haben kann.
Ich wandle hinein in mein Büro und morgen habe ich Erinnerung an längst vergessene Träume.

Lionel Favre


Masse en détail


Wer sich von religiösen Konnotationen eher abschrecken lässt, wird sich von Lionel Favres (*1980) Ausstellung in der Katholischen Akademie Freiburg „…und der Mensch erschafft die Welt” verwirrt und gleichzeitig angezogen fühlen. Man begegnet dort Zeichnungen, technischen Plänen und Figuren, neu kombiniert.

Eine Vielzahl an Werken des Schweizer Künstlers sind hier zu sehen, eine Masse an Details, die wunder- und sonderbare Geschichten erzählen. Ein technischer Plan fordert Genauigkeit, um eine Umsetzung zu garantieren. Genauigkeit garantiert jedoch keinen Realismus. Charaktere wie aus dem Comic tummeln sich neben „the yellow submarine" und unzähligen Heiligen. Und sie wuseln in einem mikroskopischen Maßstab, akribisch genau und mit bloßer Hand ausgeführt. Die Ausstellung bietet dem Betrachter eine Lupe als Hilfe an, es ist kein Gag der Kuratorin Hanna Lehmann, sondern der künstlerischen Logik inhärent. Keine Chance, das Gesamtbild zügig zu erfassen. Lediglich ein fragmentierter Blick auf die Geschichten ist möglich. Das Papier ist vergilbt und wirkt fragil. Was sonst verstauben würde, findet durch Favres konstruktive Hand eine Erweiterung. Das größtenteils surreale Figurenkabinett á la Hieronymus Bosch nimmt den Plänen ihre ursprüngliche Funktion und den fatalen Ernst. Favre erhebt die sich vielleicht widersprechenden Instanzen auf eine Ebene, indem er Perspektiven und Maßstäbe umfunktioniert. Ein Plan ist ja etwas sehr Abstraktes, er löst das Gebäude von seiner Materialität ab und erfindet Sichtweisen hinzu. Konstruktionen sind immer Konstruktionen der Fantasie, auch wenn sie einmal an Realität gewinnen sollten.
Akribisch recherchiert Lionel Favre die Geschichte der dargestellten Gebäude. So erinnert der spuckende Fisch zusammen mit den Flugzeugen über dem Freiburger Münster an die Operation Tigerfish, die Bombardierung der Stadt 1944. Das Münster, welches weitgehend verschont blieb, beherbergt einige gewaltdarstellende Figuren, welche Favre nach außen kehrt. In einem lockeren Arrangement posieren hier der auf den Kopf gestellte Petrus und „Die Höllenfahrt der Verdammten” vor einem Trümmerhaufen, welcher Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer” entspricht. Lionel Favres Geschichten haben viele Bezüge, sind aber auch bezugslos amüsant und die festen Regeln der technischen Zeichnung werden wie der Kopf auf Favres „Momentausschalter” einfach ausgeknipst. Die Bilder mischen sich unter den belebten Alltag der Katholischen Akademie. Im Vorbeigehen sind die Arbeiten nicht zu erfassen und so muss man zwischen zwei aufgeregt bewohnten Welten innehalten, die Lupe aufs Detail gerichtet.

von Manuel van der Veen auf artline>



Ganze Welten in Miniatur

„... und der Mensch erschafft die Welt” - Ausstellung Lionel Favre in der Katholischen Akademie Freiburg


Lionel Favre befasst sich mit Bauplänen und technischen Zeichnungen, insbesondere aus der prädigitalen Zeit vor 1990. Er funktioniert solche Pläne zu Bildträgern um und fügt ihnen zeichnend etwas hinzu, indem er sie interpretiert; an Humor und skurriler Phantasie lässt er es dabei nicht fehlen. Ganze Welten in Miniatur, ein großes Kommen und Gehen, skizziert er mit Bleistift, Tusche und Buntstift in die leeren Bereiche der schematisch wirkenden Pläne, die oft schon vergilbt sind und bereits unnütz, veraltet, überholt von neuen Technologien. Die am Reißbrett strukturierten Blätter sind für Favre nicht zuletzt Dokumente der Vergänglichkeit menschlicher Bestrebungen, was auf den Ausstellungstitel weist („… und der Mensch erschafft die Welt”).

Der Künstler Lionel Favre (*1980) stammt aus Lausanne und lebt derzeit in Wien. Für die Ausstellung in Freiburg hat er sich ausbedungen, Pläne des Freiburger Münsters bearbeiten zu dürfen und das ist eine aufschlussreiche Sache geworden; denn schützend hüllen sich Wolken um Flugzeuge und Turmspitzen, und viele biblische Gestalten wurden aus dem Innenraum befreit und tummeln sich jetzt auf dem Marktplatz, womit man sie endlich einmal richtig kennen lernt.

Mitunter spielt Favre auf Leonardo da Vinci an, aber man denkt auch an Sempé, wenn er aus seinen grafisch und geometrisch strukturierten Plänen ein lebendig ver-rücktes Spielfeld für teils klitzeklein skizzierte Menschlein, Tierchen und Objekte macht, von der Giraffe bis zum Engelwesen. An diesen anarchischen Zeichnungen hat man großes Vergnügen und kann dort unendlich viel entdecken, darunter Wortspiele; neben manchen Exponaten hängt hilfreich eine Lupe an der Schnur, gebraucht man sie, wird einem die Diskrepanz zwischen dem kleinen vergrößerten Ausschnitt klar, den man so erfasst und dem enormen Umfeld, das darum herum wimmelt. Insgesamt fällt einem beim Betrachten dieser Arbeiten immer wieder ein Raumkonzept des Philosophen Gilles Deleuze ein; es unterscheidet zwischen einem trassierten Raum, der optisch vermittelt und geometrisch reduziert ist („espace strié”), und einem Raum der nicht durch das Sehen definiert ist („espace lisse”), sondern ein offenes, fluides Feld darstellt, in dem sich Körper frei bewegen und wahrnehmen. Neben einem von Favres Bildern, in dem durch einen quasi flatternden Zeichenstift eine beeindruckende Population an flüchtigem Getier angesiedelt wurde, steht übrigens ein Schmetterlingsnetz zur Verfügung; man könnte ja mal versuchen, damit aus dem Bild etwas einzufangen – Besuch vor Ort unabdingbar.

von Cornelia Frenkel im Kultur Joker


im Interview mit Lionel Favre

ein Interview geführt von Ingo Heckwolf anlässlich der Ausstellung "...und der Mensch erschafft die Welt" in der katholischen Akademie Freiburg.


"Was ist der Plan?"


Lionel Favre bearbeitet technische Zeichnungen und Architekturpläne. Er erklärt uns die Welt anhand seiner teils mit Buntstift, teils mit Tuschestift ausgeführten Zeichnungen, die er in die Pläne setzt. Inspiriert durch diese selbst, erzählt er uns Geschichten, wie die der Kunst, der Architektur, behandelt aber auch Themen wie Liebe oder Klischees, wie das des Mann- bzw. Frauseins etc. Seine Zeichnungen besitzen Fantasie und Humor und reflektieren beispielweise auch Pop Art á la Lichtenstein. Favres Arbeiten sind stets von intensiven Recherchen begleitet, seine Erkenntnisse setzt er minutiös um. Der Künstler befolgt dabei die drei klassischen Regeln der Rhetorik: docere, movere, delectare – er lehrt, er bewegt und er erfreut.
Die Pläne, die Favre für seine Arbeiten verwendet, sind vorwiegend älteren Datums, handgezeichnet, oft bereits gelbbräunlich vergilbt. Jedes Blatt hat seinen eigenen Charme. Favre arbeitet mitunter auch auf modernen Computerausdrucken, je nachdem, was er eben gerade so in die Finger bekommt. Der Plan eines Hauses oder einer Maschine kann dabei einen Blick in die Vergangenheit, die Gegenwart und in seltenen Fällen sogar einen kurzen Blick in die Zukunft ermöglichen. "In den meisten Fällen jedoch, wenn ich einen Plan bekomme, …", so Favre, "ist dieser schon veraltet, weil er eben schon von einer anderen Technologie, einer anderen Version eingeholt wurde. Das bedeutet für mich, dass diese Pläne immer auch die Vergänglichkeit des Menschen repräsentieren."
Der Zukunft, der Utopie gilt Favres besonderes Interesse. Immer schon prophezeiten KünstlerInnen und SchriftstellerInnen – man denke nur an Leonardo da Vinci, Jules Verne oder George Orwell –, geleitet von ihrer Neugierde und ihrem Interesse für Naturwissenschaft und Philosophie, Zukunftsszenarien.
"Betrachtet man z. B. das Bauhaus, so sieht man, dass es hier das Konzept war, Architekten und Künstler zusammen zu führen, weil der Architekt bzw. der Ingenieur die Lösung für Probleme von heute findet und der Künstler für morgen. Gemeinsam sollten diese nun eine konkrete Vorstellung von Harmonie und Schönheit – eine neue Ästhetik erfinden." (Zitat Favre)
Der Ausstellungstitel "Was ist der Plan?" bezieht sich daher einerseits auf das Material, welches Favre für seine Kunst verwendet, andererseits ist er auch im Sinne von "Was passiert als nächstes?" zu verstehen. Diese Frage ist natürlich vor allem für junge KünstlerInnen nicht unerheblich. Um ihre Künstlerkarrieren voran zu treiben, müssen sie heutzutage vor allem eines sein, nämlich flexibel, andererseits jedoch stets abwägen, welche Möglichkeiten sie wahrnehmen sollten und welche eher nicht, um ihr künstlerisches Vorankommen nicht zu gefährden.

Lucas Cuturi



Kenny trifft Venus


Die Ausstellung Continuum in der Akademie der bildenden Künste Wien

Die Chronologie der Geschichte als Schaltplan, der unterschiedliche Zeitebenen miteinander verknüpft und ihre Protagonisten auf Fließbändern transportiert, so schlägt es der Schweizer Künstler Lionel Favre (geb. 1980) in seinen kleinteiligen Tuschezeichnungen in etwa vor.
Vielleicht zeigt die Ausstellung Continuum in der Akademie der bildenden Künste Wien (kuratiert von Elsy Lahner) auch einfach nur die Suche nach Antworten, nach Bezügen zwischen Dingen, die ähnlich erscheinen, denen aber trotzdem kein zwingender Zusammenhang beschieden ist. "Wie soll man Kenny aus South Park der Venus von Willendorf vorstellen? ", formuliert diesen Konflikt Favre selbst. Seit 2003 studiert er in Wien Malerei, zunächst bei Franz Graf und Gunter Damisch, aktuell bei Daniel Richter.

Lionel Favres winzige und aberwitzige Systeme mit Titeln wie "Party" oder "Welt" (alle 2008) fügt Favre in vergilbte und unnütz gewordene technische Schaltpläne ein. Favre funktioniert diese zu Bildträgern um, schenkt ihnen also neue Bedeutung. Schmarotzend hat sich das bunte, mitunter surreale Treiben zwischen dem penibel beschrifteten Tuschestrichen eingenistet, denn dort profitiert es von der Aura der Glaubwürdigkeit und Logik dieser technisch genauen Zeichnungen, den papierenen Zeugen einer prädigitalen Welt.

Ganz unabhängig von der gewonnen Glaubwürdigkeit verbreiten Favres Grafiken aber eine Lust am Schauen, am Entdecken und Verbindungen-Ziehen, das ganz ohne Spielregeln auskommt.


(Katrin Fessler/kafe/DER STANDARD, Printausgabe, 18. 3. 2009)